Verfahren bei sexueller Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz (Weisung)
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Weisung der Finanzdirektion vom 1. Mai 2020
Nach dem Willen des Regierungsrates sollen in der kantonalen Verwaltung geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, die qualitätsorientiert, verantwortungsbewusst und kooperativ handeln. Alle Mitarbeitenden haben das Recht, so behandelt zu werden, dass ihre Würde und ihre persönliche Integrität unangetastet bleiben.
Trotzdem kann im zwischenmenschlichen Bereich sowohl bei Vorgesetzten als auch bei Mitarbeitenden Fehlverhalten auftreten. Bei solchen Vorfällen stehen den davon Betroffenen entsprechende Instrumente und Verfahren zur Verfügung. Sie sind Ausdruck der Fürsorgepflicht des Regierungsrates gegenüber dem Staatspersonal. Die Weisung stützt sich auf §§ 5 und 39 des Personalgesetzes (PG), §§ 135 Abs. 1 und 148 Abs. 1 der Vollzugsverordnung (VVO) sowie auf Art. 4 und Art. 5 Abs. 3 des Gleichstellungsgesetzes (GlG).
1.Formen von Fehlverhalten
1.1.Sexuelle und sexistische Belästigung
Sexuelle und sexistische Belästigung kann unter verschiedenen Formen auftreten, u.a.:
- Taxierende Blicke, anzügliche Bemerkungen und Scherze, z. B. über Figur und sexuelles Verhalten im Privatleben
- Vorzeigen, Aufhängen, Auflegen und Verschicken (auch elektronisch) von sexistischem oder pornographischem Material
- Scheinbar zufällige Körperberührung und unerwünschter Körperkontakt
- Einladung mit unerwünschten eindeutigen Absichten
- Annäherungsversuche, verbunden mit dem Versprechen von Vorteilen oder Androhen von Nachteilen
- Sexuelle Übergriffe
1.2.Mobbing
Mobbing ist ein systematisches, feindliches, über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll. Mobbinghandlungen können u.a. auftreten als
– Schikanen, Sticheleien, Spötteln
– Feindseligkeiten, Ignorieren (z.B. wie Luft behandeln)
– Beleidigen, Verleumden, ständiges unberechtigtes Kritisieren
– Zuteilen von kränkenden oder sinnlosen Aufgaben/Arbeiten
– Ausschluss von für die Arbeit wichtigen Informationen
– Anbieten eines unzumutbaren Arbeitsplatzes
Mobbing kann ausgelöst werden durch personelle Veränderungen im Team, durch Vorgesetztenwechsel, grossen Arbeitsdruck/Stress, Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene, Uneinigkeit über Zielsetzungen, Misserfolg, organisatorische Mängel, Angst um den Arbeitsplatz, Führungsschwäche von Vorgesetzten, usw.
1.3.Fehlverhalten von Vorgesetzten
Es gehört zur Führungsverantwortung, dass Vorgesetzte bei Fällen von sexueller und sexistischer Belästigung sowie bei Mobbing intervenieren; bleibt eine Führungsperson untätig, liegt ihrerseits ein Fehlverhalten vor. Gleiches gilt bei Vorkommnissen, welche die körperliche und seelische Integrität von Mitarbeitenden verletzen.
2.Grundsatzerklärung
Sexuelle und sexistische Belästigungen sowie Mobbing am Arbeitsplatz sind in der kantonalen Verwaltung verboten und werden nicht geduldet. Sie verletzen die Integrität und Würde einer Person und behindern die Chancengleichheit am Arbeitsplatz. Es gehört zur Führungsverantwortung, dass Vorgesetzte präventiv wirken und in Fällen von Fehlverhalten einschreiten.
3.Prävention
Diese Weisung ist Teil der gemäss § 135 Abs. 1 VVO vom Staat verlangten Präventivmassnahmen und wird ins Handbuch Personalrecht integriert.
Vorgesetzte sind in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine belästigungsfreie Arbeitsatmosphäre verantwortlich. Sie haben die ihnen unterstellten Mitarbeitenden auf die in der kantonalen Verwaltung geltenden Verhaltensgrundsätze hinzuweisen und einzugreifen, wenn diese verletzt werden. Die diesbezügliche Sensibilisierung ist fester Bestandteil der allgemeinen Führungsausbildung.
Die interne Weiterbildung hat die vorstehende Grundsatzerklärung in ihren Seminaren zu thematisieren und Vorgesetzte wie auch Personalverantwortliche zu befähigen, die unter Ziffer 1 erwähnten Fehlhandlungen zu erkennen und entsprechende präventive oder eingreifende Verhaltensstrategien zu entwickeln. Neue Mitarbeitende sind mit den diesbezüglichen Informationen zu versehen. Zusätzlich sollen allgemein zugängliche Seminare Konfliktmanagement und Probleme der Zusammenarbeit behandeln.
Im Sinne einer Generalprävention können Vorgesetzte und/oder Personalbeauftragte ihrer Direktion beantragen, Erfahrungen mit schwerwiegendem Fehlverhalten im eigenen Organisationsbereich in geeigneter Form offen zu legen (z. B. Rundschreiben, Personalversammlung, Informationsveranstaltung, Diskussionsgrundlage für Gespräche mit externen Fachpersonen, usw.).
4.Informelles Verfahren
4.1.Beschwerde, Beratung
Wer sich an einem Arbeitsplatz der kantonalen Verwaltung einem unter Ziffer 1 beschriebenen Fehlverhalten ausgesetzt sieht, hat das Recht – ohne Sanktionen oder nachteilige Auswirkungen auf den beruflichen Werdegang befürchten zu müssen – sich bei der unmittelbaren oder nächsthöheren Vorgesetztenstelle zu beschweren oder sich an folgende Anlaufstellen zur Beratung und Unterstützung zu wenden:
Ansprechpersonen oder Anlaufstellen in den Direktionen sind
- allenfalls bezeichnete Vertrauensperson
- Personalverantwortliche/r der zuständigen Organisationseinheit (Amt, Abteilung)
- Personalbeauftragte/r der Direktion.
Verwaltungsübergreifende Anlaufstellen sind
- das Personalamt
- die Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann
Verwaltungsexterne und -unabhängige Anlaufstelle
- Kantonale Ombudsstelle
Diese Ansprechpersonen und Anlaufstellen haben nachstehende Aufgaben:
- persönliche Anhörung
- Beratung über weiteres Vorgehen sowie über mögliche Verfahren und deren Folgen
- Begleitung im Vorgehen
- Vermittlung von externen Fachkräften
- Vorladung zu einer Aussprache unter allen Beteiligten mit Zustimmung der Person, die sich über Fehlverhalten am Arbeitsplatz beklagt als auch der Person, der solches vorgeworfen wird.
Diese Ansprechpersonen und Anlaufstellen übernehmen die Verantwortung für ihr Handeln, ohne aber den Führungskräften/Vorgesetzten ihre Führungsverantwortung für die Konfliktlösung und der sich benachteiligt fühlenden Person ihre Eigenverantwortung für persönliche Entscheide abzunehmen.
4.2.Handlungsschritte (siehe auch § 135 VVO)
Im Einvernehmen mit der ratsuchenden Person sind informelle und vertrauliche Schritte zu unternehmen mit dem Ziel, dem Fehlverhalten ein Ende zu setzen und nach Möglichkeit eine einvernehmliche Lösung zu finden. Beratungen sind bei den unter Ziffer 4.1 genannten Ansprechpersonen und Anlaufstellen jederzeit möglich.
I. Bekommen Vorgesetzte Kenntnis davon oder haben den begründeten Verdacht, dass in ihrem Verantwortungsbereich unter Ziffer 1 beschriebene Fehlhandlungen vorliegen, haben sie unverzüglich Einzelgespräche mit den Beteiligten zu führen. Benachteiligte Personen wenden sich an die unmittelbare oder nächsthöhere Vorgesetztenstelle bzw. die höhere Vorgesetztenstelle, die nicht beteiligt ist.
II. Nach der Schilderung des Sachverhaltes durch die benachteiligte Person und den Abklärungen der Vorgesetztenstelle suchen die beiden Gesprächspartner gemeinsam unverzüglich nach Lösungsmöglichkeiten und geeigneten Massnahmen. Das können zum Beispiel:
- Vermittlungs- und Schlichtungsgespräche mit allen Beteiligten
- Veränderungen bzw. Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen
- organisatorische Massnahmen
- Informationen über interne und externe Beratungsstellen sein.
III. Sind die mit der Vorgesetztenstelle geführten Gespräche und die von ihr aufgezeigten Angebote sowie die ergriffenen Massnahmen zur Konfliktlösung aus der Sicht der benachteiligten Person oder der Führungskraft – in der Regel nach vier- bis sechs Wochen – erfolglos geblieben, so kann die benachteiligte Person eine schriftliche Mitteilung an die nächsthöhere Vorgesetztenstelle richten, gegebenenfalls unter Mithilfe der Beratungs- oder Vertrauensperson; in schwerwiegenden Fällen muss unverzüglich gehandelt werden. Allen weiteren direkt Betroffenen ist ebenfalls die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme einzuräumen.
IV. Diese nächsthöhere Vorgesetztenstelle unternimmt einen letzten Einigungsversuch. Wenn dieser scheitert, sollen die Beteiligten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Auswahl einer geeigneten Person oder Institution erfolgt einvernehmlich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist auch die zuständige Personalabteilung der Direktion einzuschalten. Die Rechtsabteilung des Personalamtes kann für die Beurteilung der möglichen juristischen Konsequenzen beigezogen werden.
V. In klaren, offensichtlichen Fällen haben die zuständigen Vorgesetzten nach Gewährung des rechtlichen Gehörs sofort die notwendigen dienstlichen Anordnungen zur Behebung des Fehlverhaltens zu treffen.
5.Formelles Verfahren – Administrativuntersuchung
Die ein informelles Verfahren durchführenden Stellen, jede durch ein unter Ziffer 1 erwähntes Fehlverhalten betroffene Person sowie die mit diesbezüglichen Vorwürfen konfrontierte Person haben das Recht, eine Administrativuntersuchung bei der zuständigen Direktion zu beantragen (im Falle von sexueller Belästigung gemäss § 135 VVO). Jede Direktion regelt ihr Vorgehen fallbezogen anhand der folgenden Checkliste.
Checkliste
a) Klärung der Voraussetzungen
- Zuständigkeit: gemäss Organigramm bzw. Dienstweg
- Grund zur Annahme, dass das vorgeworfene Verhalten zu beanstanden ist
- Der Verzicht auf eine interne Untersuchung trotz vorhandener Verdachtsmomente ist zu begründen
- Subsidiarität (ergänzende Notwendigkeit) gegenüber anderen Verfahren (Strafprozesse, Zivilprozesse) ist je nach Situation zu prüfen.
b) Form und Inhalt des Auftrages
- Schriftlichkeit
- Auftragserteilung je nach Situation an interne oder unabhängige externe Vertrauensperson
- Präzise Umschreibung des einstweilig bekannten Sachverhaltes und des Auftrags und der zu klärenden Fragen
- Rechte und Pflichten der beauftragten Person festlegen
- Beizug von fachlich und juristisch geschulten Personen, da die Abwicklung nach dem Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG) erfolgt.
c) Pflichten der auftraggebenden Stelle
- Information an die Vorgesetzten des betroffenen Arbeitsbereiches: Verbot der Einmischung
- Bei mehreren beteiligten Behörden sind die Verfahren und die interne/externe Kommunikation zu koordinieren1
- Eventuelle Information der Öffentlichkeit über die Durchführung einer Administrativuntersuchung2 (in Absprache mit der Direktion)
- Hinweis auf Mitwirkungspflicht der betroffenen Personen
- Bereitstellung der Vorakten/Unterlagen, EDV-Zugang
- Information der betroffenen Personen über Durchführung der Administrativ-untersuchung.
d) Pflichten der beauftragten Person
- Durchführung der Untersuchung nach den Regeln des Verwaltungsrechtspflegegesetzes, d. h. insbesondere Einhaltung folgender Verfahrensregeln: Befragung der involvierten Personen; Erstellung von Aktennotizen, die sinnvollerweise von der an der Befragung involvierten Person visiert beziehungsweise von derjenigen Person, welcher etwas angelastet wird, unterzeichnet werden müssen; Gelegenheit bieten, zu den Äusserungen der involvierten Personen Stellung zu nehmen und Ergänzungsfragen zu stellen zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs3 ;
- Umsichtige, präzise Beschreibung der festgestellten Mängel/Fehler, insbesondere Quantifizierung etwaiger Arbeitspflichtverletzung beziehungsweise etwaigen Verschuldens;
- Nicht geklärte Fragen und Umstände offen legen;
- Anträge zuhanden der auftraggebenden Stelle formulieren, wenn dies verlangt wird.
e) Aufgaben im Zusammenhang mit dem Verfahrensabschluss
- Schlussbericht der beauftragten Person an die auftraggebende Stelle;
- Orientierung aller Betroffenen über das Ergebnis der Administrativuntersuchung (Abgabe eines Schlussberichtes; Prüfung, ob aus Persönlichkeitsschutzgründen Passagen abzudecken sind (§ 9 VRG);
- Gewährung des rechtlichen Gehörs;
- Eröffnung des Entscheides durch die auftraggebende Stelle (Feststellung des Sachverhaltes und Anordnung einer Massnahme4 oder Einstellung des Verfahrens);
- Während und nach Verfahrensabschluss den Betroffenen Akteneinsicht gewähren5;
- Wird eine Massnahme angeordnet, wodurch die betroffene Person in ihren Rechten und Pflichten6 tangiert ist, ist eine rekursfähige Verfügung notwendig (das heisst Einräumung eines Rechtsmittels gemäss § 19 VRG an die obere Behörde);
- Eventuelle Information der Öffentlichkeit nach Abschluss der Administrativuntersuchung (Art und Umfang der Publikation – Beachtung des Persönlichkeitsschutzes).
6. Massnahmen/Sanktionen
Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kompetenzdelegation in den Direktionen können je nach Vorkommnis und Stand der Aufklärung beziehungsweise Lösung des Sachverhaltes folgende, auch kombinierbare Massnahmen unter Einhaltung der Be-stimmung von PG, PVO und VVO getroffen beziehungsweise vereinbart werden:
- Hilfestellung für Opfer von Fehlverhalten (Betreuung, Therapie);
- Schriftliche oder mündliche Entschuldigung (einvernehmlich);
- Auflage von Unterstützungsmassnahmen (Supervision, Coaching);
- Aktenvermerk im Personaldossier (mit Fristangabe der Aufbewahrungszeit);
- Verweis;
- Versetzung;
- die beschuldigte Person kündigt;
- Androhung einer Entlassung im Wiederholungsfall (mit Bewährungsfrist, vgl. § 19 PG, oder fristlos, vgl. § 22 PG);
- Vorsorgliche Einstellung im Amt (nur bis zur definitiven Klärung des Sachverhalts bzw. bis zur fristlosen Kündigung);
- Entlassung der beschuldigten Person (fristlos, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, sonst nur unter den Voraussetzungen von § 19 PG; eine fristlose Kündigung muss sofort ausgesprochen werden, sobald klar ist, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen);
- Strafanzeige;
- Anrufung der kantonalen Schlichtungsbehörde nach Gleichstellungsgesetz bei sexueller Belästigung;
- Einschalten der kantonalen Ombudsstelle.
Nehmen Vorgesetzte, die im Sinne von Ziffer 2 (Grundsatzerklärung) bzw. Ziffer 4.2 (Handlungsschritte) tätig werden müssten, ihre Aufgaben nicht wahr, stellt dies eine Verletzung der Führungspflichten dar, was personalrechtliche Konsequenzen hat.
7.Schlussbestimmung
Diese Weisung ersetzt die Weisung der Finanzdirektion vom 31. Oktober 2001 »Verfahren bei sexueller Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz".
1 Weisung über die Koordination der Strafverfahren, personalrechtlichen Massnahmen und Administrativuntersuchungen vom 1. November 2009 (RRB Nr. 1580/2009).
2 Die Öffentlichkeit ist vor allem dann zu orientieren, wenn öffentliche Vorwürfe zur Administrativuntersuchung führen. Der Persönlichkeitsschutz gebietet, dass Namen der betroffenen Personen ohne oder gegen deren Einverständnis nur dann genannt werden dürfen, wenn hierfür ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht.
3 Nach Art. 8 der Bundesverfassung beziehungsweise §§ 8 und 9 VRG haben Personen, denen gegenüber Vorwürfe erhoben werden, Anspruch auf rechtliches Gehör, d. h. ein Recht zu erfahren, was ihnen vorgehalten wird und sich hierzu auch zu äussern.
4 Vergleiche nachfolgend unter Ziffer 6
5 Die Akteneinsicht umfasst sämtliches Aktenmaterial, das Gegenstand der Administrativuntersuchung war und Grundlage des Berichtes bildet, die unterschriebenen Protokolle der befragten Personen und den Bericht des Beauftragten mitsamt den Anträgen und Antworten.
6 Pro memoria: Durch die Einreichung einer Strafanzeige wird die betroffene Person nicht in ihrem Rechtsschutzinteresse tangiert; in einem solchen Fall also keinen Rekurs einräumen.
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Anlaufstelle Mobbing & sexuelle Belästigung